Hintergrund: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit�tsst�rung (ADHS) besteht bei einem Teil der Patienten auch im Erwachsenenalter fort. Untersuchungen aus Deutschland zur Diagnose und Behandlung der ADHS im Lebensverlauf einschlie�lich der Transition jugendlicher ADHS-Patienten fehlen bisher weitgehend.
Methode: Bundesweit wurden Routinedaten der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) zur H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen und ADHS-Medikamentenverordnungen ausgewertet. Erg�nzend wurde die Versorgung einer Kohorte 15-j�hriger ADHS-Patienten als sogenannte Transitionskohorte im Verlauf von sechs Jahren analysiert.
Ergebnisse: Zwischen 2009 und 2014 stieg die H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen bei 0- bis 17-J�hrigen von 5,0�% auf 6,1�% (mit einem Maximum von 13,9�% bei 9-j�hrigen Jungen) und bei 18- bis 69-J�hrigen von 0,2�% auf 0,4�% an. W�hrend bei Erwachsenen mit ADHS-Diagnose die Verordnung von ADHS-Medikamenten zunahm, sank sie bei Kindern und Jugendlichen. Meistverordneter Wirkstoff war Methylphenidat, gefolgt von Atomoxetin und Lisdexamfetamin. In der Transitionskohorte fiel der Anteil der ADHS-Diagnosen innerhalb von 6 Jahren von 100�% auf 31,2�% und die Medikationsh�ufigkeit von 51,8�% auf 6,6�%.
Schlussfolgerung: In den vergangenen Jahren hat die H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen und ADHS-Medikation bei Erwachsenen zugenommen, was als Ausdruck einer Sensibilisierung von �rzten und Patienten f�r die adulte ADHS gewertet werden kann. Die Diagnoseh�ufigkeit liegt jedoch unter der in epidemiologischen Studien ermittelten Pr�valenz. Dies k�nnte auf die Notwendigkeit eines Ausbaus der Versorgung adulter ADHS-Patienten hindeuten. Die niedrige Medikationsquote am �bergang ins Erwachsenenalter wirft die Frage auf, ob f�r diese Altersgruppe spezifische Transitionskonzepte entwickelt werden m�ssen.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit�tsst�rung (ADHS) ist eines der h�ufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen St�rungsbilder und hat erhebliche klinische und gesundheits�konomische Relevanz (1, 2). Die Pr�valenz der ADHS liegt bei Diagnosestellung nach ICD-10-Kriterien im Kindes- und Jugendalter bei circa 1,5�3 % (3, 4). Untersuchungen unter Verwendung der weiter gefassten DSM-IV-Kriterien ergeben eine h�here ADHS-Pr�valenz, wobei US-amerikanische Studien wiederum h�here Pr�valenzen berichten als europ�ische Studien (4�6).
Noch bis vor etwa 15 Jahren herrschte die Auffassung vor, dass eine ADHS sich mit der Pubert�t �auswachse� und eine Behandlung nach diesem Alter nicht mehr notwendig sei (7). Aktuelle Studien (auf Basis von DSM-IV-Kriterien) zeigen jedoch, dass die St�rung auch im Erwachsenenalter fortbesteht (8). Unter Verwendung strikter Diagnosekriterien ergibt sich eine ADHS-Persistenzrate von etwa 40�50 % (8), in Studien mit anderen Diagnosekriterien zeigt sich eine erheblich gr��ere Streuung der Persistenz (4�79 %) (8�11).
Die weltweite Pr�valenz der ADHS im Erwachsenenalter nach DSM-IV-Kriterien wird mit 2,8 % angegeben (12). In der ICD-10 fehlen erwachsenenspezifische diagnostische Kriterien f�r die Diagnosestellung einer ADHS (13) und somit auch hochwertige bev�lkerungsbasierte Studien zur ADHS-Pr�valenz nach ICD-10.
Unbehandelt kann eine ADHS verschiedene ung�nstige Konsequenzen haben, unter anderem h�heres Unfallrisiko, h�here Mortalit�t, h�heres Risiko f�r Depression, Pers�nlichkeitsst�rung, Substanzmissbrauch und Inhaftierung, schlechteren Schulabschluss sowie h�ufigeren Arbeitsplatzverlust (14).
Die Therapie der ADHS erfolgt bei Kindern und Jugendlichen leitliniengem�� multimodal mit den Elementen Elterntraining, Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie (Stimulanzien, Atomoxetin) (15), wobei eine medikament�se Behandlung nur bei entsprechend ausgepr�gtem Schweregrad der Symptomatik indiziert ist. Eine medikament�se Behandlung ist im Regelfall wirksam (Effektst�rken: 0,5�1,0) (16), f�r nichtmedikament�se Verfahren ist die Evidenz unzureichend (17).
Eine Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter sollte bei moderater bis schwerer Beeintr�chtigung (eine schwere psychosoziale Beeintr�chtigung liegt bei circa 30 % der Betroffenen vor [12]) erfolgen (18), wobei Pharmakotherapie sowie Verhaltenstherapie eingesetzt werden. F�r die Pharmakotherapie mit Stimulanzien werden mittlere bis gro�e Effektst�rken (0,6�4,3) angegeben, w�hrend es zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen divergierende Daten gibt (19, 20). Die Therapieresponse (≥ 30 % Symptomreduktion) betr�gt unter leitliniengerechter Medikation etwa 60 % (21, 22).
Im Gegensatz zum internationalen Schrifttum (zum Beispiel 23�25) liegen nur wenige Daten zu Pr�valenz und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter in Deutschland sowie zu entsprechenden zeitlichen Trends vor (26�28).
Dem Erkenntnisfortschritt hinsichtlich der Persistenz der ADHS im Erwachsenenalter ist dadurch Rechnung getragen worden, dass in den letzten Jahren diesbez�gliche Leitlinien und Diagnostikverfahren entwickelt sowie Therapiestudien durchgef�hrt wurden (29, 30). Ebenso sind verschiedene Medikamente f�r die Therapie der ADHS im Erwachsenenalter zugelassen worden (eTabelle 1). Auch die Zahl der Spezialambulanzen f�r Erwachsene mit ADHS nimmt allm�hlich zu; die Versorgungslage ist aber aus Sicht von Experten sowie Selbsthilfegruppen noch nicht befriedigend (31, 32).
eTabelle 1
�bersicht der in Deutschland zur Behandlung der ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zugelassenen Medikamente
Ein damit einhergehendes Problem ist der �bergang Jugendlicher mit ADHS in die erwachsenenmedizinische Versorgung. Idealerweise sollte diese sogenannte Transition �geplant, geordnet und zielgerichtet� verlaufen (33). Hierzu geh�rt zum Beispiel die rechtzeitige Suche nach einem in der Behandlung der ADHS erfahrenen Arzt oder Psychotherapeuten im Erwachsenenbereich (sozialrechtlich endet die kinder- und jugendpsychiatrische oder p�diatrische Zust�ndigkeit mit Vollendung des 18., sp�testens des 21. Lebensjahres) oder die strukturierte �bergabe relevanter Informationen (bisherige Therapie, Komorbidit�ten) an diesen (34). F�r viele Jugendliche ist dieser �bergang jedoch durch einen Mangel an Kontinuit�t in der medizinischen Versorgung gekennzeichnet � mit negativen Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und berufliches Potenzial (35). Bisher liegen nur wenige Untersuchungen zur Transition Jugendlicher mit ADHS vor, entsprechende deutsche Daten existieren nicht.
Vor diesem Hintergrund sollen in dieser Arbeit folgende Fragen untersucht werden:
- Diagnose- und Behandlungsh�ufigkeit: Wie hat sich im Zeitraum 2009�2014 die H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen und medikament�ser Behandlung der ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ver�ndert?
- Transition: Wie sieht bei Jugendlichen mit ADHS-Diagnose die medikament�se Versorgung bis zum Erreichen des Erwachsenenalters aus?
Methoden
Die Analysen beruhen auf den Daten aller Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Um Angaben zur Diagnoseh�ufigkeit machen zu k�nnen, wurde auf der Grundlage der Krankenkassendaten die Zahl der Versicherten im Alter von 0�69 Jahren mit der Diagnose ADHS im Kalenderjahr 2009 und 2014 festgestellt. F�r die Behandlungsh�ufigkeit wurden die Daten zur Verordnung von ADHS-Medikamenten im Zeitraum 2009�2014 ausgewertet (ausf�hrlichere Darstellung der Methoden im eKasten).
eKasten
Methoden
ADHS-Diagnosen sind die im ambulant-�rztlichen Sektor als gesichert kodierten ICD-10-Diagnosen F90.0, F90.1, F90.8, F90.9 und F98.8. ADHS-Medikamente sind Methylphenidat, Atomoxetin, Lisdexamfetamin, Dexamfetamin, Amphetamin. Zur Transitionskohorte z�hlen alle Versicherten mit ADHS-Diagnose, die im Jahr 2008 f�nfzehn Jahre alt und bis 2014 durchg�ngig versichert waren.
Ergebnisse
Diagnoseh�ufigkeit
Im Jahr 2009 wiesen 214 110 AOK-Versicherte zwischen 0 und 69 Jahren (71,4 % m�nnlich, Durchschnittsalter: 13,5 [� 31,9] Jahre) eine ADHS-Diagnose auf, im Jahr 2014 waren es 274 982 (69,7 % m�nnlich, Durchschnittsalter: 14,6 [� 35,1] Jahre), wovon 22,0 % auf den diagnostischen Kode F98.8 (�Sonstige n�her bezeichnete Verhaltens- und emotionale St�rungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend� einschlie�lich �Aufmerksamkeitsst�rung ohne Hyperaktivit�t�) entfielen.
Die ADHS-Gesamth�ufigkeit (0�69 Jahre) lag im Jahr 2009 bei 1,2 % der AOK-Versicherten (m�nnliche Versicherte [m]: 1,7 %; weibliche Versicherte [w]: 0,7 %) und 2014 bei 1,5 % (m: 2,1 %; w: 0,9 %). Im Altersbereich 0�17 Jahre betrug die Diagnoseh�ufigkeit im Jahr 2009 5,0 % (m: 7,2 %; w: 2,8 %) und im Jahr 2014 6,1 % (m: 8,4 %; w: 3,6 %). Im Altersbereich 18�69 Jahre lag die Diagnoseh�ufigkeit im Jahr 2009 bei 0,2 % (m: 0,3 %; w: 0,2 %) und im Jahr 2014 bei 0,4 % (m: 0,5 %, w: 0,3 %). Ohne Ber�cksichtigung des ICD-10-Kodes F98.8 ergab sich f�r das Jahr 2009 eine ADHS-Gesamth�ufigkeit von 0,9 % (0�17 Jahre: 3,9 %; 18�69 Jahre: 0,2 %) und f�r 2014 von 1,1 % (0�17 Jahre: 4,5 %; 18�69 Jahre: 0,3 %).
Die ADHS-Diagnoseh�ufigkeit im Lebensverlauf in den Jahren 2009 und 2014 ist in Grafik 1 dargestellt.
Grafik 1
Pr�valenz von ADHS-Diagnosen (in %)
Nach einem Gipfel bei 9-J�hrigen (2009: 9,2 % [m: 12,8 %; w: 5,4 %]; 2014: 10,2 % [m: 13,9 %; w: 6,4 %]) f�llt die Diagnoseh�ufigkeit deutlich ab (2009: 1,9 % beziehungsweise 2014: 3,5 % bei 18-J�hrigen; 0,2 % beziehungsweise 0,4 % bei 30-J�hrigen), um danach nur noch langsam abzusinken. Bez�glich der Altersgipfel zeigt sich kein klinisch relevanter geschlechtsspezifischer Unterschied. Hinsichtlich der ADHS-Diagnoseh�ufigkeit betrug das Verh�ltnis M�nner/Frauen 2,5 (2009) beziehungsweise 2,3 (2014), bei weitgehend ausgeglichenem Geschlechterverh�ltnis ab dem Ende der vierten Lebensdekade.
Im Jahr 2014 war die H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen in allen Altersgruppen h�her als 2009.
Behandlungsh�ufigkeit
Die H�ufigkeit der medikament�sen Therapie Versicherter mit ADHS-Diagnosen ist in Grafik 2 dargestellt. Es zeigen sich zwei Altersgipfel, und zwar im Alter von 13�14 Jahren (2009: 51,7 %; 2014: 43,1 %) sowie im Alter von 34 (2009: 19,2 %) beziehungsweise 37 Jahren (2014: 33,4 %). Von 2009 nach 2014 nahm die H�ufigkeit medikament�ser ADHS-Behandlung bei Erwachsenen zu, bei Kindern und Jugendlichen hingegen ab (Grafik 2a). Die maximale Behandlungsh�ufigkeit betrug im Jahr 2014 bei weiblichen Jugendlichen 33,0 % und bei Frauen 31,8 %, bei m�nnlichen Jugendlichen 46,9 %, bei M�nnern 36,0 %, (Grafik 2b, Grafik 2c).
Grafik 2
ADHS-Medikation in den Jahren 2009 und 2014 (a) sowie �bersicht der in 2014 verordneten Wirkstoffe (b, c)
Mit einem Anteil von 75�100 % der verordneten ADHS-Medikamente war Methylphenidat in fast allen Altersklassen die meistverordnete Substanz. Atomoxetin war �berwiegend der am zweith�ufigsten verschriebene Wirkstoff. Eine Ausnahme bildeten weibliche Versicherte im Alter von 9�15 und 17 Jahren sowie m�nnliche Versicherte im Alter von 4, 6�15 und 64 Jahren, bei denen Lisdexamfetamin mindestens genauso h�ufig wie Atomoxetin verschrieben wurde.
Bereits vor Zulassung des ersten Methylphenidat-Pr�parates f�r Erwachsene (April 2011) (eTabelle 1) wurde zwischen 11,4 % und 18,8 % der 19- bis 21-j�hrigen Versicherten mit ADHS-Diagnose Methylphenidat verordnet (eTabelle 2). In den Jahren 2011�2014 stieg dieser Anteil auf 13,3�24,0 %. Die Verordnung von Atomoxetin (Zulassung f�r Erwachsene: Juni 2013) stieg von 1,2�1,9 % (2012) auf 1,7�2,2 % im Jahr 2014.
eTabelle 2
Anteil der Versicherten (in %) mit Verordnung des jeweiligen Wirkstoffes zur Behandlung der ADHS (15� bis 21-j�hrige AOK-Versicherte mit ADHS-Diagnose, 2009�2014)
Die Transitionskohorte umfasste 5 593 15-j�hrige Jugendliche (m: 77,6 %) mit ADHS-Diagnose, von denen im Alter von 21 Jahren noch 31,2 % eine ADHS-Diagnose aufwiesen. Im gleichen Zeitraum fiel die Medikationsquote von 51,8 % auf 6,6 % (Grafik 3).
Grafik 3
Anteil der AOK-Versicherten der Transitionskohorte mit ADHS-Diagnose
Die Kontakte zu verschiedenen Facharztgruppen im Verlauf der Transition sind in der eGrafik dargestellt.
eGrafik
Arztkontakte der Transitionskohorte
Diskussion
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Zwischen 2009 und 2014 ist die ADHS-Diagnoseh�ufigkeit in allen Altersklassen angestiegen.
- W�hrend der Anteil mit ADHS-Medikamenten behandelter Erwachsener mit ADHS-Diagnose zunahm, ging der Anteil medikament�s behandelter Kinder und Jugendlicher zur�ck.
- In der Transitionskohorte fiel die Medikationsquote innerhalb von sechs Jahren um knapp 90 %.
Die in dieser Studie gefundene H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen bei AOK-Versicherten im Kindes- und Jugendalter liegt gegen�ber anderen deutschen Studien (2007: 2,2 % bei 0- bis 18-J�hrigen [36]; 2011: 4,1 % bei 0- bis 19-J�hrigen [28]) h�her, was auch auf Unterschiede im Studiendesign (zum Beispiel Einschluss von F98.8 in der vorliegenden Studie) zur�ckzuf�hren sein mag. Eine Zunahme findet sich auch in anderen westlichen L�ndern (37, 38). Bei 5- bis 14-j�hrigen Jungen liegt die Diagnoseh�ufigkeit � analog zu Grobe et al. (11,9 % der 10-j�hrigen Jungen [28]) � mit 10,5�12,1 % (2014) deutlich �ber der in epidemiologischen Studien ermittelten ADHS-Pr�valenz von 0,6�5,0 % (3, 4, 6). Die Erkl�rungsans�tze f�r diesen Befund sind vielf�ltig und umfassen neben unterschiedlichen diagnostischen Kriterien im klinischen Alltag und in epidemiologischen Studien m�glicherweise auch eine �berdiagnostik (zum Beispiel im Kontext schulischer Adaptationsprozesse).
Hinsichtlich der Ver�nderung der ADHS-Diagnoseh�ufigkeit bei Erwachsenen liegt ein Vergleich mit der Arbeit von Grobe et al. nahe, die von 2006�2011 eine Verdoppelung bis Verdreifachung der H�ufigkeit von ADHS-Diagnosen bei Erwachsenen (20�39 Jahre) berichtete (28). International war in den vergangenen Jahren in verschiedenen L�ndern gleichfalls eine Zunahme der ADHS-Diagnoseh�ufigkeit bei Erwachsenen zu verzeichnen (23, 39, 40).
Dieser Trend ist vermutlich auf vielf�ltige Faktoren, unter anderem die verbesserte Versorgungssituation (zum Beispiel Kostenerstattung von ADHS-Medikamenten, Neugr�ndungen von ADHS-Spezialambulanzen f�r Erwachsene) und � �hnlich wie bei Autismus-Spektrum-St�rungen (e1) � eine verst�rkte Sensibilisierung f�r ein Fortbestehen der ADHS im Erwachsenenalter zur�ckzuf�hren.
Von der Gr��enordnung liegt die ADHS-Diagnoseh�ufigkeit im Erwachsenenalter in Deutschland h�her als in Spanien (0,04 %) (e2), aber deutlich unter den aus Schweden berichteten Zahlen (1,1 % in 2006, 4,8 % in 2011) (23). Insgesamt liegt die in dieser Studie gefundene ADHS-Diagnoseh�ufigkeit unter dem, was nach einer Metaanalyse (e3) und bei einer ADHS-Persistenz von etwa 40�50 % zu erwarten w�re. M�gliche Gr�nde hierf�r sind eine weiterhin unzureichende Versorgungssituation sowie die oft schwierige Diagnosestellung (e4).
Die Angleichung der ADHS-Diagnoseh�ufigkeit von M�nnern und Frauen im Verlauf des Erwachsenenalters entspricht weitgehend den Ergebnissen epidemiologischer Studien (26).
Der Befund, dass die Verordnung von ADHS-Medikamenten f�r Kinder und Jugendliche mit ADHS-Diagnose r�ckl�ufig ist, geht in eine �hnliche Richtung wie andere Arbeiten mit deutschen Daten, die gleichfalls eine Stagnation beziehungsweise Abnahme der Verschreibung von Methylphenidat im zeitlichen Zusammenhang mit der Versch�rfung der Verordnungsbedingungen im Jahr 2010 berichten (e5, e6).
Im internationalen Kontext steigen die Verschreibungszahlen f�r ADHS-Medikamente bei Kindern und Jugendlichen (unabh�ngig vom Vorhandensein einer ADHS-Diagnose) eher an (e6). Auch bei anderen Substanzgruppen, zum Beispiel Antipsychotika und Antidepressiva, sind bei Kindern und Jugendlichen zunehmende Verschreibungszahlen zu beobachten (e7, e8).
Die Zunahme der Verordnungen von ADHS-Medikamenten bei Erwachsenen ist vermutlich auf die gleichen Ursachen, die auch der gestiegenen ADHS-Diagnoseh�ufigkeit zugrundeliegen, zur�ckzuf�hren.
Die Tabelle bietet eine �bersicht (methodisch unterschiedlicher) internationaler Studien zur H�ufigkeit von ADHS-Medikation bei Erwachsenen. Die mit zunehmendem Lebensalter abnehmenden Medikamenten-Verschreibungen bei Erwachsenen stimmen mit internationalen Daten �berein (24, 25). Die in unserer Studie gefundene ADHS-Medikationsh�ufigkeit liegt niedriger als in Spanien und Schweden, aber h�her als in England (Tabelle). Analog zu Skandinavien und Gro�britannien (25, 39) erhielten M�nner h�ufiger ADHS-Medikamente, wohingegen in den USA ab Anfang der vierten Lebensdekade Frauen �berwiegen (24).
Tabelle
�bersicht aktueller internationaler Arbeiten zur H�ufigkeit von ADHS-Medikation im Jugend- und Erwachsenenalter
Bemerkenswert ist, dass bei Versicherten mit ADHS-Diagnose in der vierten und f�nften Lebensdekade eine ADHS-Medikationsquote um 30 % erreicht wird. Dies entspricht in etwa dem Anteil Erwachsener mit ADHS, bei dem eine schwere psychosoziale Beeintr�chtigung vorliegt (12). Eine abschlie�ende Bewertung der Ad�quanz der Medikationsquote ist jedoch aufgrund fehlender Referenzwerte und international deutlicher Unterschiede in der Behandlung nicht m�glich (e12).
Bez�glich der verordneten Wirkstoffe war Methylphenidat die wichtigste Substanz. Dies entspricht den Leitlinienempfehlungen und der Zulassungssituation in Deutschland (eTabelle 1). Die Zunahme der Verschreibung von Methylphenidat in den Jahren 2011�2014 bei den �ber 18-J�hrigen kann als Folge der Zulassung bei Erwachsenen interpretiert werden.
Die in der Transitionskohorte von 51,8 % auf 6,6 % abgesunkene Medikationsquote ist von der Gr��enordnung her mit Gro�britannien vergleichbar (e13) und kann einerseits als Folge der Transitionsphase, andererseits aber auch als m�gliches Indiz einer sehr niedrigen ADHS-Persistenz im Erwachsenenalter gewertet werden. Vergleichsdaten zur Transition der ADHS (nach ICD-10-Diagnosekriterien) aus populationsbasierten Studien fehlen bisher.
F�r die erstgenannte Erkl�rung spricht, dass unabh�ngig von der Transitionskohorte auch bei Versicherten mit ADHS zum Ende der zweiten Lebensdekade die Medikationsquote zur�ckging (Grafik 2a), was in �hnlicher Weise interpretiert werden k�nnte � zumal in der ersten H�lfte der dritten Lebensdekade der Anteil medikament�s behandelter AOK-Versicherter erneut (wenn auch auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau) ansteigt.
Andererseits k�nnte dieser zweite Medikationsgipfel auch im Zusammenhang mit den Herausforderungen dieser Lebensphase (zum Beispiel Familiengr�ndung, Elternschaft) mit entsprechenden Anforderungen an Organisationsf�higkeit und Emotions- und Impulskontrolle stehen.
Limitationen
St�rke dieser Arbeit ist die Verwendung von Sekund�rdaten, die eine Vollerhebung innerhalb einer gro�en Population erm�glicht und hierdurch St�rfaktoren, wie zum Beispiel Erinnerungsverf�lschungen (�recall bias�), ausschlie�t. Dies bringt jedoch auch Nachteile mit sich, zum Beispiel eine m�glicherweise geringere Qualit�t der kodierten Diagnosen und fehlende Zusatzinformationen hinsichtlich Symptomschwere, Komorbidit�ten (9), psychosozialem Status oder Indikationen von Arzneimittelverordnungen. Allerdings ist anzunehmen, dass die allermeisten Verordnungen in dieser Studie f�r die Indikation ADHS erfolgten, da als alternative Indikation nur die recht seltene Narkolepsie (Pr�valenz: 25�50/100 000) infrage k�me (e14).
Psychiatrische Auff�lligkeiten kommen unter anderem aufgrund des niedrigeren sozio�konomischen Status h�ufiger bei AOK-Versicherten vor (e15), wodurch unsere Routinedatenanalyse die tats�chliche ADHS-Pr�valenz �bersch�tzen d�rfte.
Eine weitere Limitation besteht darin, dass nur Verschreibungsdaten, jedoch keine Diagnosen aus Psychiatrischen Institutsambulanzen und Hochschulambulanzen zur Verf�gung standen. Dies d�rfte zu einer geringen Untersch�tzung der Diagnoseh�ufigkeit f�hren. Gelegentlich off-label zur ADHS-Behandlung verordnete Medikamente (zum Beispiel Clonidin) sowie andere ADHS-Therapieformen (zum Beispiel Neurofeedback) konnten nicht in die Auswertung einbezogen werden. Eine Auswertung psychotherapeutischer Behandlungen erfolgte nicht, da keine Angaben vorlagen, ob die zugrunde liegende Indikation ADHS oder eine andere psychische St�rung war.
Schlussfolgerung
In den vergangenen Jahren hat die ADHS-Diagnoseh�ufigkeit bei Erwachsenen zugenommen, was als Ausdruck einer gesteigerten Sensibilisierung von �rzten und Patienten f�r die adulte ADHS gewertet werden kann. Die diagnostizierte H�ufigkeit der ADHS bei Erwachsenen liegt jedoch unter der in epidemiologischen Studien ermittelten Pr�valenz, was auf einen signifikanten Anteil undiagnostizierter F�lle hindeutet und die Notwendigkeit eines weiteren Ausbaus der Versorgung adulter ADHS-Patienten unterstreicht. Der erhebliche R�ckgang der medikament�sen Therapie der ADHS am �bergang ins Erwachsenenalter wirft die Frage auf, ob daf�r spezifische Transitionskonzepte (e16, e17) entwickelt werden sollten.
Danksagung
Wir danken Herrn J�rgen-Bernhard Adler und Frau Bettina Gerste vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) in Berlin f�r die Aufbereitung und Bereitstellung der dieser Studie zugrunde liegenden Daten. Die Studie wurde ohne externe finanzielle Unterst�tzung durchgef�hrt.
Interessenkonflikt
Prof. Philipsen erhielt Honorare f�r Berater- und Vortragst�tigkeit sowie Reisekostenerstattung von Eli Lilly, MEDICE Arzneimittel P�tter GmbH & Co. KG, Novartis, Shire und Lundbeck.
Prof. Bachmann und Prof. Hoffmann erkl�ren, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 23. 9. 2016, revidierte Fassung angenommen: 10. 1. 2017
Anschrift f�r die Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. P.H. Christian J. Bachmann
Fachbereich Medizin der Philipps-Universit�t Marburg
35043 Marburg
[email protected]
Zitierweise
Bachmann CJ, Philipsen A, Hoffmann F: ADHD in Germany: trends in diagnosis and pharmacotherapy�a country-wide analysis of health insurance data on attention-deficit/ hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults from 2009�2014.
Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 141�8. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0141
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
Mit �e� gekennzeichnete Literatur:
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eTabellen, eKasten, eGrafik:
www.aerzteblatt.de/17m0141 oder �ber QR-Code
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Prof. Dr. med. Philipsen
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Prof. Dr. P.H. Hoffmann, MPH
Grafik 1
Pr�valenz von ADHS-Diagnosen (in %)
Grafik 2
ADHS-Medikation in den Jahren 2009 und 2014 (a) sowie �bersicht der in 2014 verordneten Wirkstoffe (b, c)
Grafik 3
Anteil der AOK-Versicherten der Transitionskohorte mit ADHS-Diagnose
Kernaussagen
Tabelle
�bersicht aktueller internationaler Arbeiten zur H�ufigkeit von ADHS-Medikation im Jugend- und Erwachsenenalter
eGrafik
Arztkontakte der Transitionskohorte
eKasten
Methoden
eTabelle 1
�bersicht der in Deutschland zur Behandlung der ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zugelassenen Medikamente
eTabelle 2
Anteil der Versicherten (in %) mit Verordnung des jeweiligen Wirkstoffes zur Behandlung der ADHS (15� bis 21-j�hrige AOK-Versicherte mit ADHS-Diagnose, 2009�2014)
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ADHS in Deutschland: Trends in Diagnose und medikament�ser Therapie
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Author: Brian West
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